Verzicht ist eine Frage der Sichtweise
Seit Jahren greift in unserer Gesellschaft eine virusähnliche Angst vor Verzicht um sich. Bei zahlreichen, teils völlig unterschiedlichen Themen, wurde „Ich will auf nichts verzichten!“ zu einer Art Totschlagargument gegen jegliche Art neuer Ideen. Doch was hat es mit diesem Verzicht eigentlich auf sich?


Die Angst vor dem Verzicht
Gesellschaftlich betrachtet könnte man die Ablehnung des Verzichts mit der Angst vor dem Verlust unseres bisherigen, bequemen Wohlstandlebens gleichsetzen. Ungefähr so, als ob in dem Moment, in dem man selbst auf etwas zu verzichten beginnt, schlagartig und unwiederbringlich das schöne, gewohnte Leben augenblicklich in Schutt und Asche liegen würde.
Verzicht ist nichts Neues
Warum sprechen wir nicht häufiger darüber, dass wir jeden Tag verzichten? Verzicht ist ein Grundpfeiler moderner (Wohlstands-) Gesellschaften. Wer an einer roten Ampel steht, verzichtet auf das Weiterfahren. Wer ins Auto steigt, verzichtet auf Bewegung. Wer in der Großstadt lebt, verzichtet auf saubere Luft. Und wer arbeiten geht, der verzichtet in dem Augenblick auf Freizeit.
Jeden Tag, bei jeder Entscheidung, die wir treffen, verzichten wir stets auf irgendeine Variante der Möglichkeiten und entscheiden uns für eine andere. Meist auch aus völlig logischen und nachvollziehbaren Gründen. Denn gleichzeitig zur Entscheidung für eine Variante, verzichten wir schließlich auf sämtliche anderen Optionen, die ebenfalls zur Wahl stünden.
Entscheidung für Gesundheit – ist das Verzicht?
So betrachte ich es auch bei der Gesundheit und meiner Ernährung als Typ 1 Diabetikerin. Wenn wir als Diabetiker täglich zu Fast Food greifen, verzichten wir potentiell auf unser langfristiges Wohlergehen. Wer sich jedoch entscheidet, auf selbst bestimmtes Altern nicht verzichten zu wollen, greift zu Gemüse, Ballaststoffen und Vitaminen. Es ist schlichtweg eine Frage der Sichtweise, für welche Option man sich lieber entscheiden möchte und worauf genau man nicht verzichten möchte.
Gesundheit als Glücksspiel?
Die steigenden Defizite unserer Krankenkassen lassen vermuten, dass der heutige persönliche Verzicht auf eine gesunde Lebensweise in absehbarer Zeit finanziell nicht mehr in dem Maße aufgefangen werden kann, wie es derzeit der Fall ist. Realistisch betrachtet ist es sehr ungewiss, ob wir weiterhin dauerhaft alle Medikamente erhalten werden, die wir für ein beschwerdefreies Leben benötigen. So sehr ich es liebe zu pokern, aber Glücksspiel hinsichtlich meiner letzten 10 oder 20 Jahre im Leben möchte ich nicht betreiben.
Kleine Anpassungen müssen kein Verzicht sein
Als Typ 1 Diabetiker sind wir besonders anfällig für Folgekrankheiten aufgrund der dauerhaften Überzuckerung unseres Körpers. Man kann daher gar nicht zu früh mit gesunder Ernährungsweise anfangen. Wir können durch unsere Ernährung nicht nur langanhaltende Gluko-Kicks, sondern auch spätere Organschäden vermeiden, denen wir nur mit ausgeglichenen Blutzuckerwerten entkommen können.
Und damit man auch wirklich auf nichts verzichten muss, kann man sich in den eigenen Kalender wöchentliche oder monatliche sog. „cheat days“ eintragen, an denen alles erlaubt ist. Bei sonst ausgeglichenen Blutzuckerwerten schaden diese Ausreißer meist nicht. Als angenehmer Nebeneffekt helfen solche Tage durchzuhalten und bei neuen Experimenten nicht nach einigen Wochen oder Monaten aufzugeben.



